Im allgemeinen Sprachgebrauch ist «Digital» all das, was mit Computern zu tun hat. Aber was hat heute schon nicht mit Computern zu tun? Der Unterschied zwischen digitalen und analogen Geräten verschwimmt immer mehr. Wie sinnvoll ist es noch, von «digital» im Unterschied zu «analog» zu sprechen?

Kaffeemaschinen sind mit grafischen Benutzerschnittstellen ausgerüstet, Autos sind Computer mit vier Rädern, Telefone sind Computer mit Photo- und Fernsprechverbindungstechnologie. Mehr und mehr Produkte werden mit einem Chip ausgeliefert: Toaster, Schuhe und bald auch Brillen. Bücher werden mit Computern geschrieben, gesetzt, gedruckt und vertrieben, Plattenspieler sind voll von Mikroelektronik, Häuser werden auf Computern entworfen.

Alles ist heute bis zu einem gewissen Grad digital. Der Unterschied zwischen digital und analog ist nicht mehr klar, er ist graduell.

Je weiter sich die digitale Technologie entwickelt, desto natürlicher wirkt das Digitale. Niemand denkt beim Druck auf den Espressoknopf daran, dass er damit einen Computer bedient. iPad und Kindle sind technisch der durchschnittlichen Drucksache schon weit voraus, nur bei der typografischen Umsetzung hapert es noch. Der angeblich hörbare Qualitätsunterschied zwischen CD und LP ist wissenschaftlich weit weniger als klar.

Während es immer schwieriger wird, einen Unterschied zwischen digital und analog in der Benutzerwahrnehmung festzumachen, tritt er in der Handhabung deutlich hervor. Platten muss man wenden, putzen, sorgfältig versorgen, CDs nicht. Den Kaffeekocher schraubt man auf, füllt man, die Kaffeemaschine bedient man per Knopfdruck. In Büchern blättert man, auf dem iPad wischt, streicht und tappt man. Digitale Produkte, mit oder ohne Bildschirm, werden anders gehandhabt als analoge Produkte. Einerseits sind sie praktischer, andererseits sind sie flacher.

Wenn wir von analog und digital sprechen, beziehen wir uns bewusst oder unbewusst darauf, dass die digitale Handhabung gleichzeitig einfacher und abstrakter ist.

Während die Handhabung digitaler Produkte im Vergleich meist praktischer scheint, verliert sie gleichzeitig an physischer Wirklichkeit. Oft hört man: Was bei digitalen Produkten fehle, sei der aktive physische Bezug. Das Schrauben, Kippen, Ziehen, Auspacken, Heben, Stossen, Blättern, Drehen, Klopfen wird zu einem annähernd zweidimensionalen Wischen und Drücken.

Analoge Werkzeuge wie Hammer, Schere oder Feldstecher sind Verlängerungen, Verstärkungen und Vereinfachungen unseres Körpers. Der Hammer ist eine gehärtete Faust, Scheren sind hochgeschliffene Zähne, Brillen sind schärfere Augen.

Jedes Produkt hat eine Schnittstelle. Der Hammer hat einen Griff, der in die Hand passt, und ein Ende, das der Faust gleicht. Die Schere ist an unsere Finger angepasst, die Scherenblätter gleichen unseren Zähnen. Die Brille wird ins Gesicht eingepasst und funktioniert mit dem Auge wie eine zweite Linse.

Im Unterschied zu analogen Werkzeugen, die mit etwas Übung fast unmittelbar mit unserem Körper verschmelzen, wirken Computer immer fremd. Computer passen sich unserem Geist nicht so selbstverständlich an wie der Hammer in unserer Hand. Digitale Produkte kennen die Unmittelbarkeit analoger Werkzeuge nicht. Computer sind Verlängerungen unseres Gehirns. Gehirne sind verwirrend. Wie sollten Computer also nicht verwirren?

Dennoch ist es bloss eine Frage der Zeit, bis uns die befremdenden Computer so natürlich scheinen wie Hammer und Schere. Der erste Hammer lag so natürlich in der Hand des Menschen, wie der erste Hammer, den wir als Kind in die Hand genommen haben. Wie sinnvoll ist es noch, von «digital» im Unterschied zu «analog» zu sprechen? Es ist so sinnvoll wie aufschlussreich, aber es wird von Tag zu Tag schwieriger. Man muss schon bald Schriftsteller sein, um sich heute ein rein analoges Leben überhaupt noch vorstellen zu können.