Ich weiss ganz genau, was wir hier bei iA machen. Der Kollege, den ich vor einem Monat nach langer Zeit wieder einmal traf, der wusste das nicht. Wie er mir erzählte, hatte auch das eingehende Studium unserer Webseite daran nichts geändert. Dieser Kollege ist ein Zyniker, deshalb mag ich ihn nicht besonders und hatte keinen Kontakt mehr mit ihm aufgenommen seit ich damals noch als Projekt Manager bei einer anderen Firma arbeitete. Diesmal witterte ich die Chance, meine lang geplante Feldstudie «User eXperience erklären» in die Tat umzusetzen.

Meine Eltern finden sowieso gut, was ich tue, sind als Versuchskaninchen also nicht geeignet. Da kam mir ein nichts ahnender Zyniker gerade recht. Er fragte:

UXwas? Weshalb muss gerade der Nutzer im Zentrum stehen? Mir geht’s mit meinen Seiten vor allem darum, Geld zu verdienen!

So schnell kriegst du mich nicht, Früchtchen. Der Fokus auf den Nutzer ist unser Mittel gegen das, was Firmen sonst immer tun: auf den eigenen Nabel schauen. Zu ihrem eigenen Schaden, wie ich dir gleich erklären werde. 2 Stunden und eine Flasche Wein in der Bar Sol später (auf meine Kosten, sparsam ist er auch) hatte er es genau verstanden, denn er frage:

Wieso müsst ihr denn so viel wissen, um euer Design zu machen? Ist das nicht mehr Photoshop und so?

Gute Frage, ich werde dir jeden Aspekt erläutern, lass uns wandern gehen, ich übernehme die Kosten für die Bahnfahrt und bringe Proviant mit. Auf steinigen Wiesen voller Kühe erläuterte ich im feinsten Detail, wie bei interaktiven Produkten die Pläne und das Verhalten einer Organisation, die Technologie und bewusste Gestaltungs-Entscheide bezüglich Strategie, Struktur und Oberfläche zusammenspielen und letztendlich etwas produzieren, das wir User Experience nennen. Mit der, wie schon erläutert, der Erfolg eines Produktes steht und fällt. Er hatte das ganz genau begriffen, denn er fragte:

Sowas kann man doch gar nicht managen, das ist doch viel zu gross!

Nun, da kann ich dir nun wirklich nicht helfen, Projekt Management erfordert viel Erfahrung, Empathie—Menschenkenntnis—und Wissen über die Organisationen, in denen sich Menschen zusammentun.

Aha. Hm. Ihr sagt doch, ihr macht die Dinge einfacher, also erklär’ mir das alles nochmals in 3 Sätzen!

Oops. Panik! Überraschender Sieg des Zynikers in der letzten Runde?

Wann immer ich UX kurz und knapp erklären muss, schleicht sich ein Bild in meinen Kopf, das sich wie ein Virus in der Designer- und Beratergemeinde verbreitet hat. Das Venn-Diagramm. Es wäre gemein, Lou Rosenfeld als den ersten Träger dieses Virus zu identifizieren, aber er ist sicher einer der auffälligsten:

Oder waren es die einflussreichen IDEO, die das Diagramm für immer in unsere Köpfe geschweisst haben?

Auf jeden Fall verbreitete sich das Virus munter weiter. Es gab wahre Vennologen und natürlich auch solche, die gar keine Grenzen mehr sahen und aus Eigeninteresse rücksichtslos von der Dreifaltigkeitslehre abwichen:

UXMatters hat beim Versuch, das maledeite Zentrum dieses Diagramms zu beschreiben per Zufall meine liebste Metapher getroffen: Design ist Krieg! Oder zumindest ein bewaffneter Konflikt:

Auch wir haben uns die Hände schmutzig gemacht, mit dem Spektrum der Nutzererfahrung. Das Verdikt von Adaptive Path: «Intriguing, it raises more questions than it answers.»

Und klar ist: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Wird ein Architekt den Kern seiner Tätigkeit mit 3 überlappenden Kreisen erklären? Eher nicht. Wird es ein Consultant tun? Freilich! Architekten bauen Häuser. Consultants begnügen sich viel zu oft mit Luftschlössern. Wir bauen Webseiten (und andere interaktive Produkte).

In unseren Projekten legen wir den Fokus auf den einen oder anderen bisher vernachlässigten Aspekt: auf die Erfahrung des Nutzers mit dem Produkt, auf die Vereinfachung historisch gewachsener Strukturen, auf technologische Machbarkeit und Effizienz, auf ökonomischen Realismus. Immer aber haben wir es mit viel Komplexität zu tun. Der werden wir Herr mit unserer Erfahrung und unserer Fähigkeit, den einzelnen Problemen durch Analyse und Reflexion auf den Grund zu gehen. Ist das einfach zu erklären? Ja: Wir bauen Webseiten.

Ein guter Arzt kann erklären, weshalb mein Arm schmerzt, oder weshalb er meinen Blinddarm operieren muss. Kaum aber wird er ein einfaches Diagramm mit 3 Kreisen hervorziehen, das den Menschen oder den Beruf des Arztes als solchen erklärt.

Sind Webseiten einfacher als Menschen oder Gebäude? Helfen in unserem Fall die drei Kreise? Vielleicht – wenn wir untereinander über Komplexität und mögliche Lösungsmuster diskutieren wollen. Im häufigsten Fall verdecken sie mit ihrer vermeintlichen Vereinfachung mehr, als sie zeigen. Ich sehe sie als Zeichen von fehlender Reife einer Branche, die sich erst selbst finden muss, bevor sie anderen Vorträgen halten kann.

Mein zynischer Kollege hatte mich ursprünglich kontaktiert, weil er eventuell ein Projekt für iA habe und wurde zum nichts ahnenden Opfer meines Experimentes. Meine Antwort auf seine letzte Frage:

Hm, wenn ich dir das in 3 Sätzen erklären könnte, müsstest du mich ja nicht mehr anstellen, gell?