«Dieses Internet wird sicher irgendwann wieder verschwinden» hat mancher Verlagsmanager noch bis vor kurzem gehofft – bevor er sich gerade noch rechtzeitig in den Ruhestand retten konnte. Auch wenn die Taten noch manche Verständnislücke vermuten lassen wird die grundlegende Bedeutung des Mediums Internet von der nachrückenden Generation nicht mehr verneint.

Mit stets gequältem Blick auf die Zahlen pflegen die Schweizer Verlage deshalb bereits Erreichtes, wagen hier ein kleines Internet-Experiment und dort eine grosse Investition in ein bereits etabliertes Online-Modell.

Schweizer Verlage im Netz: durchzogene Erfolgsbilanz

Dabei liesse ihr Erfolgsausweis durchaus hoffen: 7 der 20 aktuell trafficstärksten Websites in der Schweiz gehören ganz oder teilweise einem der grossen Schweizer Verlage. Ein Blick auf die Liste von starken Verlagswebsites (oder starken Websites mit Verlagsbeteiligung) zeigt jedoch: nur bei der Adaptation von etablierten Printprodukten ans Web konnten die Verlage aus eigener Kraft Erfolge erzielen. Bereits leicht ausserhalb dieses Kernbereichs, im Rubrikenmarkt, mussten sie sich den Erfolg nachträglich und oft teuer erkaufen.

Die erste aus eigener Kraft aufgebaute Rubrikenmarkt-Site findet sich mit Piazza.ch (Tamedia) auf Position 31 der Trafficrangliste, Jobwinner (ebenfalls Tamedia) folgt auf Position 41. In keinem der «grossen» Rubrikenmärkte (Stellen, Immobilien, Fahrzeuge) konnte ein Verlag aus eigener Kraft die Nr. 1-Position erkämpfen.

Ausserhalb dieses Kernbereichs fällt die Kurve noch schneller ab: die Verlage haben kaum eigene Projekte zum Trafficerfolg geführt und bei neueren Online-Phänomenen wie Collaboration und Communities scheint sich schon wieder Investitionsbedarf anzustauen. Die drei trafficstärksten Websites der Schweiz gehören zwar grossen Playern, aber keinem Verlag.

RangAngebotUnique ClientsBesitzer/BeteiligteMake or Buy?
1. Bluewin 3742000 Swisscom  
2. search.ch 2508000 Die Schweizerische Post  
3. directories.ch 1867000 Swisscom und PubliGroupe  
4. Scout24 1594000 Deutsche Telekom und Ringier B
5. Blick Online 1391000 Ringier M
6. NZZ Online 1335000 NZZ M
7. 20minuten.ch 1322000 Tamedia B
8. Sf.tv 1258000 SRG  
9. moneyhouse 1201000 itonex  
10. swissinfo.ch 942000 SRG  
11. MySwitzerland.com 912000 Schweiz Tourismus  
12. tagesanzeiger.ch 874000 Tamedia M
13. Netlog 847000 Netlog  
14. homegate.ch 792000 Edipresse, Tamedia und ZKB B
15. PCtipp Online 656000 IDC  
16. Tsr.ch 639000 SRG  
17. Romandie.com 631000 Virtual Network  
18. local.ch 571000 Swisscom und PubliGroupe  
19. Le Matin 509000 Edipresse M
20. Cineman.ch 462000 Tom Talent Holding und Cinergy

WEMF Net-Metrix-Audit, Mai 2008, Zahlen

Fremdkörper Internetprojekt

Wie kommt es zu dieser durchzogenen Bilanz? Internetprojekte werden in den Verlagen noch heute vorwiegend als Fremdkörper betrachtet, kleinere Projekte werden mehr geduldet als wirklich getragen und grössere Projekte werden als Angstgegner vom etablierten Geschäft abgekapselt. Die Printprodukte linken nach wie vor nur widerwillig auf ihre Online-Pendants, online wird mit dem beschämenden Namenszusatz «-online» und reduzierten Anforderungen an das Personal gearbeitet.

Mögliche Synergien zwischen den verschiedenen Kanälen werden kaum gesucht und für von Anfang an crossmedial angedachte Konzepte wie das von 20 Minuten fehlen Mut und die Leute mit den richtigen Ideen. Noch immer lancieren Schweizer Verlage neue Produkte und denken erst im letzten Moment oder gar nicht daran, dass sie ja noch «eine URL» brauchen.

So wird «online» nach wie vor unter der Prämisse der Kannibalisierung des etablierten Geschäftes oder als Kostenstelle gesehen, viele Onlineprojekte werden, wenn überhaupt, mit geradezu räuberischen Erwartungen an die Wachstumsgeschwindigkeit und unter sehr kurzen Zeithorizonten bewilligt.

Entsprechend wenig Erfolg haben sie und bestätigen so wiederum diejenigen, die es ja schon immer gewusst haben.

Denkansätze aus der Krise

Welche Denkansätzen könnten diesen Teufelskreis durchbrechen?

  • Das Internet als Distributionsweg. Die Beherrschung von Distributionswegen hatte für die Medienhäuser stets eine grosse Bedeutung. Die Kernwerte ihres Geschäfts sind aber die Medien (-marken) in ihrem Besitz. Den Distributionswegen sind die Leser längst untreu geworden, sie konsumieren Medien wann und wo immer sie ihnen begegnen. Zu den einzelnen Medien (-marken) besteht hingegen durchaus ein Treueverhältnis. So reduziert sich das «Internetproblem» zu einem Problem des Markentransfers: wie kann ich das, was ich mit dem Aufbau meiner Medien (-marke) erreicht habe im Internet bzw. crossmedial zu geschäftlicher Blüte bringen?

  • Alle Leser sind schon da. Ein substantieller Prozentsatz des Medienkonsums findet heute online statt und auch wenn für Onlinewerbung noch keine wirklich befriedigende Modelle gefunden wurden: die Aufmerksamkeit ist im Netz und die Kommunikationsbedürfnisse von potentiellen Werbeauftraggebern werden nicht kleiner. Es ist somit eine Frage der Zeit, bis sich der Gap zwischen Geld und Aufmerksamkeit schliesst.

  • Die Marke ist die neue Zielgruppe. In einer zunehmend fragmentierten Kommunikationswelt werden sich ratlose Werber noch lange an Marken orientieren, die sie mit einer bestimmten Zielgruppe verbinden: weshalb hat die grösste Frauenzeitschrift der Schweiz keine angemessene Website? Weshalb verlässt sich eine lokal stark verankerte Zeitung wie die Schaffhauser Nachrichten auf einen Onlineauftritt, der an Dilettantismus nicht zu überbieten ist? Haben diese Produkte denn keine Angst um ihre Zukunft?

  • Zwischen Print und Online besteht ein Konkurrenzverhältnis. Wenn der Zeit-Chefredaktor Giovanni di Lorenzo sagt «Bedenke, dass du mit jeder Aufwertung deiner Online-Redaktion die Auflage schwächst», argumentiert er geschickt für den Distributionsweg, mit dem er aus nicht ganz offensichtlichen Gründen seine berufliche Identität verbindet. Ein Verlagsmanager sollte anders denken: «Bedenke, dass Du mit jedem Tag, an dem Du eine minderwertige Website online hast, dem Ansehen Deines Produktes schadest.»

  • Schuster, bleib bei deinen Leisten. Die Verlage verstehen es, Medienprodukte zu kreieren, die bei Lesern und Werbekunden gut ankommen. Sie verfügen noch über genügend gut etablierte Printprodukte mit lausigen Websites, um über Jahre mit Onlineprojekten ausgelastet zu sein. Auch Websites zu Printprodukten müssen mediengerecht und interaktiv sein. ePapers und lustige Flashanimationen der Printcovers gehören nicht in diese Kategorie. Wenn man aber etwas weniger nahe am angestammten Distributionsweg und näher am Produkt denkt, dessen Stärke es ins Web zu transferieren gilt, wird man ein auch für den Printkanal bereicherndes «Best of Both Sides» finden, ohne gleich «so etwas wie Youtube», «wie Google», oder «so etwas wie Facebook» andenken zu müssen.

  • Gute Medienprojekte brauchen Zeit. Die Verlage waren früher bekannt für ihre Art, Entwicklungen vorauszusehen, neue Produkte von langer Hand zu planen und notfalls über zehn oder mehr Jahre „durchzufüttern“. Weshalb diese atemlose Hast im Netz? Die Menschen, die sich dort tummeln, sind dieselben wie offline und die müssen sich zuerst an ein neues Angebot gewöhnen.

A New Hope

Und siehe da: wenn man die Projekte sauber durchdenkt, mit den nötigen Mitteln versieht und die richtigen Leute ranlässt verwirklichen sich manchmal sogar die räuberischsten Erfolgserwartungen: die Besucherzahlen der WELT ONLINE (immer noch dieser Namenszusatz!) haben sich durch den konsequenten Relaunch zwischen Dezember 06 und 07 verdoppelt, die Page Impressions von 35 auf 107 Mio. verdreifacht.

20 Minuten konnte mit einem Ausbau der Redaktion den Traffic innert 12 Monaten vervierfachen und auch bei Blick Online und der NZZ zeigen kleinere Investitionen vielversprechende Auswirkungen auf den Websiteerfolg. «Dieses Internet» wird sicher nicht so schnell wieder verschwinden, das wissen wir jetzt. Nun gilt es, die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen.