Die Rezession ist das Beste, was uns passieren kann. Uns Lesern. Uns Konsumenten. Uns neuen Medienmachern.
Veränderte Produktionsbedingungen
Obwohl gedruckte Zeitungen trotz schwindender Leserzahlen bedeutend höhere Werbegelder einkassieren als digitale News, werden sie wirtschaftlich notwendig scheitern. Print ist als Vertriebsmodell nicht konkurrenzfähig. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: «Der wirtschaftliche Wettbewerb drückt den Marktwert eines Produkts immer auf die Grenzkosten runter» (Mike Masnick, Techdirt). Die Grenzkosten digitaler Publikation sind so unschlagbar tief wie die Grenzkosten digitalen Musikvertriebs.
Musik und News stehen heute unter radikal veränderten Produktions-, Verkaufs- und Vertriebsbedingungen; die Konsumenten haben das längst begriffen; die Produzenten aber reiten im Galopp auf ihren uralten Businessmodellen in die Verzweiflung. Und dann klagen sie noch!
Stop whining!
Wer Gratiszeitungen druckt und heult, wenn er dieselbe Information dann online ebenso kostenlos rausgeben muss, wer aus konservativem Geiz die Archive sperrt und grosspurig droht, seinen Traffic-Hauptlieferanten Google vor Gericht zu zerren, gehört zwangspensioniert. Wir Leser haben noch nie für Information bezahlt, sondern bloss fürs Papier (und das brauchen wir ja nun nicht mehr). Den Grossteil der Nachrichtenproduktionskosten hat immer schon die Werbung gedeckt.
Jeder weiss das. Und trotzdem wird dies von unseren weinerlichen Medienmogulen jetzt gerne unter den Teppich gekehrt. Statt aktiv nach Wegen zu suchen, online Geld zu machen, wird die Schuld lieber einem digitalen Che Guevara in die Schuhe geschoben. Dass innovative Online-Werbekonzepte von graumelierten Verkäufern in der Abteilung Printwerbung sabotiert werden, erstaunt auch kaum. Der Mensch ist träge, der Mogul ist bequem, Veränderung bedeutet immer Stress.
Erstaunlich ist aber, dass Firmen weiterhin so viel Geld für Papierwerbung und nichts für Onlinewerbung ausgeben. Ja, die Unternehmen verschreddern immer noch Unsummen für Zeitungs- und Hochglanzheftliwerbung – also für lustiges Raschel- und Umblätterzeug, Stopf- und Abdeckmaterial, also in einen Informationsträger, den vor allem alte Pfeifenraucher als solchen nutzten.
Einsackender Werbemarkt?
Aber wie lange noch? Während Online-Werbung seit Jahren astronomische Wachstumsraten verzeichnet und in den USA im 2007 wieder um 18 Prozent gewachsen ist, hat der Werbemarkt für Printprodukte im selben Jahr den grössten Rückschlag seit 50 Jahren hinnehmen müssen: Im Vergleich zum Vorjahr gingen die Werbeeinnahmen der amerikanischen Printpublikationen um fast zehn Prozent zurück.
Angesichts eines einsackenden Werbemarktes, sinkender Leserzahlen und einer immer weiter auseinanderklaffenden Alterslücke zwischen Papier- und Bildschirmlesern sind aber erst die folgenden Zahlen wirklich besorgniserregend: 13 Millionen Menschen lesen die New York Times online, während gerade mal 1,6 Millionen die Zeitung abonniert haben. Das Prestigeblatt macht als Unternehmen Werbeeinnahmen in der Höhe von 484 Millionen Dollar pro Jahr. Davon gehen nur gerade mal 51 Millionen auf Online-Werbung zurück. Während die Website also zehnmal mehr Leser hat, generiert sie hundertmal weniger Geld pro Leser. Was läuft da schief?
Seltsame Richtlinien
Die Richtlinie, dass man für Online-Werbung erst richtig zahlen soll, wenn sie geklickt wird, hilft natürlich nicht. Das ist gerade auf Zeitungen ein phänomenaler Wahnwitz. Aber das Elend, auf das die Verlagshäuser zusteuern, hat viel banalere Gründe:
- Werber sind verwöhnte Snobs und überlassen Google einen Milliardenmarkt.
- Kommunkationschefs sind verkalkte Sprücheklopfer mit einem Kundenbild, das einem 50er-Jahre-Spot entsprang.
- Online-Werbebudgets leiden unter Gicht.
- CFOs kümmern sich nicht um den Return on Marketing.
- Online-Vermarktungsabteilungen der Verlagshäuser sind machtlos.
- Unternehmensberater können das Wort Interaktion nicht buchstabieren.
- Es gibt keine kompetenten New-Media-Marketer.
Trotzdem besteht Hoffnung: Wenn die seit Monaten angedrohte Rezession kommt, dann werden Gross-, Mittel- und Kleinunternehmer sich hoffentlich dreimal überlegen, ob sie ihr kostbares PR-Geld weiter in die laue alte Einwegkommunikation reinpumpen wollen oder messbare Investitionen in zeitgemässes Marketing tätigen. Dann, ja dann hätte eine neue Generation von Kommunikationsagenturen eine Chance, den Werbe-Dandys den Marsch zu blasen. Ô avalanche! Emporte-moi dans ta chute!