Das Internet ist reich an Text und arm an Qualität. Drei japanische Tricks, um Zeit und Nerven zu sparen.
Beim Feierabendbier keift mich mein Kumpel Taro, ein Banker, der seit seiner Entlassung die Zeit mit surfen und saufen verbringt, unvermittelt an: «Ihr mit Eurem Twitter-, Friendfeed-, RSS-Firlefanz! Ich hab mich da wegen Dir überall angemeldet. Ihr macht mich fix und fertig mit diesem Kurzmeldungs-Terror!» Worauf ich bloss antwortete, dass ihn ja niemand zwinge, alles zu lesen.
«Doch, wenn ich einen Text von Euch kriege, dann muss ich ihn lesen. Sonst verpass ich wieder alles, und dann…» rief Taro aus.
Trick Nr 1: Nicht zu Ende lesen
«Wer sagt denn, dass man einen Text zu Ende lesen muss? Zeit sparst Du, wenn Du den ersten Abschnitt eines Texts studierst; und Du lernst auch mehr.»
«Falls Du Dir jeweils diesen ersten studierten Abschnitt nicht nochmals antun würdest, kannst Du getrost wegklicken. Nietzsche meinte, dass die ewige Wiederkehr…» sagte ich…
Trick Nr 2: Wild lesen
…da fiel mir Brille ins Wort. Brille ist Redaktor bei einer kleinen japanischen Designzeitschrift und wir nennen ihn «Brille», weil er Tag und Nacht ein und dieselbe dunkelgrüne Ray Ban trägt: «Wenn mich der erste Satz langweilt, dann les ich den letzten; wenn der letzte besser als der Anfang punktet, dann les’ ich den Artikel von unten nach oben. Früher dacht ich, das sei irgendwie verboten. Aber es gibt ja keinen Gott, der überprüft, ob man einen Text rückwärts aus der Mitte heraus oder wie auch immer liest. Wir sind eh froh um jeden Buchstaben, der gelesen wird.»
Taro der Banker winkte ab: «Den Trick kenn ich schon lange. Was ich nicht weiss, ist, wie man Onlineinfos filtert. Twitter, Friendfeed, RSS, Flickr, Mixi, mir wird das alles einfach too mutchi.»
Brille nickte: «Ich weiss. Aber immerhin. Bei all dem Infomüll, den uns das Web aufhalst, darf man ja auswählen. Falls Du ab einem bestimmten Zeitpunkt anfängst, dich über den Autoren zu ärgern oder noch schlimmer: zu langweilen, schenk Dir den Text. Solang der Text unterhält, ist er gut, oder?» sagte Brille und prostete mir zu.
Trick Nr 3: Positiv bleiben
Alles, was mir dazu einfiel war: «Online-Texte wollen nicht bloss gelesen, verstanden und gemocht, sondern vor allem verlinkt werden. Durch Verlinkung steigt die Aufmerksamkeit, die sie kriegen, und damit ihr Kernwert. Um gefunden, gelesen, gemocht und verlinkt zu werden, brauchen die Texte tatsächlich einen hohen Unterhaltungswert. Das ist ein deutlicher Nachteil gegenüber Texten mit Kaufpflicht, die weder gefunden, noch gelesen werden, geschweige denn unterhalten müssen.»
«Das Unterhaltungsdogma tut dem Text oft gut, führt aber ebenso häufig in die seichten Niederungen. Wenn der Autor wie ein Kleinkind bösartig tobt und wütet, buhlt er meist bloss um Aufmerksamkeit. Kurz: Lesenswerte Texte sind fröhlich und machen fröhlich. Nietsche meint, dass die ewige…» sagte ich worauf mir Brille, der Printredaktor wieder ins Wort fuhr. Er zerfetzte meine Behauptung, dass Printtexte nicht gelesen werden wollen in der Luft.
Soviel gab er dabei immerhin zu: «In einem Punkt hast Du sicher Recht. Eine Lebensregel meiner in ganz Kansai für ihre Wutausbrüche berühmten Grossmutter lautete: ‹Geh nie mit einer Wut schlafen, sonst kriegst Du schlechte Träume›. Ich habe mir diese Lebensregel zur Schreibregel gemacht und schreibe, wenn’s sein muss, auch über die Bankenkrise mit einem Lächeln.»
Worauf Taro meinte: «Quatsch! Du schreibst doch gar nicht über Bankenkrisen! Aber sag, warum trägst Du eigentlich immer diese alberne Sonnenbrille?»