«Das Buch wird niemals sterben.» In der englischen Simultan-Übersetzung klingt es fast wie «wir werden immer reiten und brauchen keine Autos». Doch der italienische Redner eines wissenschaftlichen Fachverlags ist sich seiner Sache sicher. Gut, dass bei dieser Veranstaltung der italienischen Buchverleger in Mailand nicht alle so denken. Einige der Teilnehmer arbeiten bereits fieberhaft an der Antwort auf die wichtige Fragestellung: Wie werden wir morgen lesen?
Eine Diskussion mit starkem Dejà-vu-Effekt. Strategien und Meinungen erinnern genau an die Szenen, die wir in den vergangenen zehn Jahren in der Zeitungsbranche erlebt haben. Die Ausgangssituation scheint ähnlich. Print verdient eine Menge Geld mit etablierten und meist abbezahlten Strukturen. Die digitale Zukunft erscheint dagegen oft ungewiss und mit hohen Kosten verbunden. Zu allem Übel warten neue Konkurrenten wie Apple oder Google in diesem Markt. Anders als damals bei den Zeitungen ist der Druck jedoch noch höher, denn in den vergangenen Jahren ist bereits die erste digitale Generation aufgewachsen.
Buddenbrooks auf dem Handy
Diese Situation generiert eine dankbare Zielgruppe für technische Dienstleister, die traditionell auf solchen Veranstaltungen um Kundschaft buhlen. Natürlich ist auch wieder eine Wunder-Software dabei: «Damit können Sie mühelos jedes Buch auf jedem neuen Tablet-PC, jedem Smartphone und jedem E-Reader publizieren.» Will ich das? Brauche ich die Buddenbrooks auf dem Handy?
Zugegeben, aus ökonomischer Sicht scheint die Idee verlockend. Denn schon bei den klassischen E-Readern wie dem Kindle gibt es inzwischen mehr als 50 verschiedene Modelle.
Einer für alle
Wer zurückschaut, wie das iPhone den Smartphone-Markt verändert hat, weiss auch die Ankündigungen in Sachen iPad-Killer richtig zu deuten. In den kommenden Monaten werden noch einige Tablets auf den Markt kommen. Und natürlich kann sich kein Verleger von Büchern eine spezielle Ausgabe für jedes Gerät leisten. So eine Software, die Inhalte automatisch auf alle Geräte verteilt, klingt da vielversprechend.
Viel zu kurz—und auch das weckt manche Erinnerung an die Zeitungsbranche in den Anfangsjahren des Internets—kommt allerdings die Diskussion über Chancen, Möglichkeiten und Besonderheiten einzelner Geräte.
Erste Apps bekamen vernichtende Kritik
Wer zum Beispiel auf dem iPad Erfolg haben will, muss sich der Besonderheiten des Geräts bewusst sein. Wie aufwändig Design für das iPad ist, hat Oliver Reichenstein auf unserer englischen Homepage mit «Designing for iPad: Reality Check» beschrieben.
Die ersten Apps aus den USA bekamen vernichtende Kritik. Usabilty-Experte Jakob Nielsen fühlte sich gar ins Web Design von 1993 zurückversetzt. Noch ist das iPad ein junges Medium, das nach Standards sucht. Auf der Suche nach der besten Lösung braucht es offene Diskussionen.
Doch diese Arbeit könnte sich lohnen. Erste Umfragen sprechen von 98 Prozent zufriedenen Kunden mit dem iPad. Bei drei Millionen verkauften Geräten nach nur 80 Tagen entsteht ein interessanter Markt.
Die nächsten Wochen werden zeigen, was die Leser auf diesem und anderen Geräten lesen wollen. Eines scheint jedoch schon heute klar: Wenn Buchverlage nur Bleiwüsten auf hochauflösende Bildschirme exportieren, wird dieser Markt schnell langweilig. Neue Medien sind mehr als ein Vertriebskanal für alte Inhalte.